Liebe Freund*innen, liebe Genoss*innen, liebe Geschwister,
Ich spreche für die Gruppe München International und ich grüße euch herzlich. Ich grüße die Nachbarschaften und die Straßen, durch die wir gelaufen sind. Ich grüße und danke den Freund*innen, die uns heute ermöglichen zusammen zu kommen, um unsere Wut und unser Freude miteinander zu teilen.
Rituale, wie unseren Zug durch die Straßen und den Tanz heute Nacht, schaffen community und sie sind notwendig für das gute Leben, vor allem in Zeiten des aufsteigenden Faschismus. Wir müssen Leben, um zu Kämpfen.
Warum sind wir heute unterwegs, als transfeministische Bewegung, in der Walpurgisnacht? Mit riot energy, trans und queer joy, und feministischer Kraft? Um diese Fragen zu beantworten, möchte ich euch Eindrücke teilen, aus der feministischen Bewegung in München, und euch auch den geschichtlichen Ursprung dieser Nacht ein wenig näher bringen.
Es gibt verschiedene gute Gründe hier zu sein, viele wurden von meinen Vorredner*innen schon genannt. Und Genoss*innen vor uns, vor 30 oder 40 Jahren, hatten auch gute Gründe. Sie erhebten ihre Stimme gegen alltäglichen Agressionen, sexualisierte Gewalt, aber auch Ausbeutung und Krieg. Sie stellen die Analyse auf, dass Unterdrückung lokal und international verwoben ist.
Am 30. April, in der Nacht zum 1. Mai 1977 zogen Münchner Genoss*innen an der Walpurgnisnacht durch die Straßen vom Stachus zur Münchner Freiheit. In ihrem Demo Bericht schreiben sie:
„Frauenlachen, Fackeln, die die Nacht zum Tag machen – ein langer Zug von Frauen, der sich vom Stachus aus in Bewegung setzt. Es hat keine Rolle gespielt, mit welchem Anspruch kommt die Frau, bei der du dich gerade unterhakst, […]. – Du hattest einfach ein Gefühl der Geborgenheit, der Stärke, unter so vielen Frauen (ca. 1.000), du konntest mit ihnen was anfangen, das heißt, sie waren noch nicht tot, noch nicht abgestumpft gegen sowas wie Demonstrieren; demonstrieren hatten viele Frauen so begriffen, als sich darstellen: Hexen mit Besen, mit Masken aus Gips, unter denen du ein Gesicht nicht wiedererkannt hast.“
Am 30. April 1986 treffen sich unsere Genoss*innen wieder am Stachus, dieses Mal sind sie etwa 150 und ziehen mit einem unangemeldeten (!) Demozug Richtung [Frauenknast am Maria-Hilf-Platz, wo eine Genossin auch festgenommen wird.] An dieser Stelle begrüße ich herzlich die Freund*innen, die diese Demo organisiert haben und auch heute mit uns hier sind.
Ihr Demo-Bericht erscheint unter dem Titel „Verreckt doch an der Strahlung und sterbt für diesen Staat – wir bekämpfen euren Krieg und das Patriarchat“. Das sind ihre Worte:
„Gerade in den letzten Wochen wird viel über Kriegsgefahr diskutiert. Vielleicht wird auch gerade über das atomare Unglück in der Sowjetunion gesprochen. Das ist nur die Spitze von Männerideologie und Männerwissenschaft. Für uns Frauen aber gilt in diesem kapitalistischen System noch etwas anderes. Für uns Frauen ist der Krieg bereits da, spätestens seit Hexen auf Scheiterhaufen verbrannt wurden.
[…] Deshalb sind wir hier. Hier zur Walpurgisnacht. Wir rufen auf zum Widerstand gegen den alltäglichen Männlichkeitswahn, die internationale Ausbeutung und Kriegstreiberei. Wir erobern uns unsere Energien, Kräfte, Phantasien und Rechte zurück.“
In der Nacht vom 30. April. zum 1. Mai 1585, fliegen Hexen auf ihren Besen auf den Blocksberg im Harz. Ganz oben auf dem Gipfel, in mitten dies tiefen Waldes, feiern sie Walpurgnisnacht, den Übergang zur schönen Jahreszeit. Das Treffen ist aber geheim. Mit großer Vorsicht haben die Hexen, aller Geschlechter übrigens, Ort und Zeit gewählt. Es gibt Feuerrituale, sie tanzen im Kreis um das riesige Feuer, sie tanzen sich in Trance, sie fühlen sich als würden sie fliegen. Auch nicht-menschliche Wesen sind dabei, viele Ziegenböcke, die auf den Hinterpfoten stehen und Tieren mit Hörnern, die Flügel haben wie riesige Fledermäuse. Die Hexen sind nackt oder nur leicht bekleidet, ihre Körper sind ungezähmt. Einige Hexen und Ziegeböcke sind verflochten in sinnlicher Verbindung. Auch die nackten menschenlichen Körper, pulsieren vor Lust. Sie kreischen, summen, singen, tanzen. Sie zaubern! Sie machen Zauberei!
Diese Geschichte ist angelehnt an den Bildern und Beschreibungen der Walpurgisnacht des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit. In dieser Zeit erobert der frühe Kapitalismus die Welt, und führt Krieg gegen das Leben von Menschen auf der ganzen Welt.
Diese [imaginierten] Zusammenkünfte zur Walpurgisnacht von Kirche und Adel als Vorwurf genutzt, um Hexen für Ketzerei und Hexerei zu verurteilen, zu foltern und auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen. Zu den Vorwürfen gehörte auch, Hexen würden mit dem Teufel verkehren, hätten mit ihm Pakte geschlossen und würden Kinder töten. Sie werden für Krankheiten und Tod verantwortlich gemacht. Dies Vorwürfe werden auch auf jüdische Gemeinschaften ausgedehnt, der heilige jüdische Wochentag Sabbat wird in Verbindung mit den geheimen Treffen gesetzt, dadurch entsteht später der Begriff „Hexensabbat“.
Diese misogynen, sexistischen und queerfeindlichen Tötungen finden während der Hexenverfolgung im 16. und 17. Jahrhundert ihren Höhepunkt. 40.000 bis 60.000 queers und Frauen werden ermordert.
Warum erzähle ich das? Ich möchte uns alle dazu einladen, uns darauf zu besinnen, mit welcher Erinnerung diese Nacht auch zusammenhängen muss. Aber auch: welches Potential es birgt, sich auf diese Nacht, die Walpurgsnacht oder der Hexensabbat, zu besinnen. Lasst uns Ritualen schaffen, die community schaffen! Dieser Demozug heute ist ein Beispiel dafür. Lasst uns transfeministisch Zaubern, in dem wir unsere Körper zum vibrieren bringen, unser Freund*innen küssen! Lasst uns in dieser riot energy und feministischer Freude, uns organisieren! Wir können uns nur auf das Erbe der zauberhaften Ritualen und der Hexerei der Walpurgisnacht beziehen, wenn wir auch das Erbe der Verfolgung und Repression nicht vergessen, es ernst nehmen, und gegen die Verfolgung und Repression von heute kämpfen! Deswegen:
Organisiert euch!
Hex Hex!